Treffpunkt alte Polizeistation

O‘Higgins – El Calafate 304km

Die Tage in O‘Higgins plätschern genüsslich vor sich hin, während wir, ausser Wäsche und Fahrräder waschen und Blog schreiben, nicht viel unternehmen. Während andere Reisende mehrere kürzere Wanderungen machen und die Umgebung erkunden, liegen wir auf der faulen Haut. Kurz bekommen wir ein schlechtes Gewissen. Doch nach einer prägnanten Bedürfnisklärung wird uns schnell klar, dass wir Nichts müssen wozu wir keine Lust haben und genussvoll einfach ein bisschen Sein dürfen.

O‘Higgins ist ein kleines Dörfchen mit etwa 3000 Einwohner, welches hauptsächlich vom Tourismus lebt. Es gibt einen schönen Platz mit Bänkli und Statuen. Als wir es uns gemütlich machen und die wärmende Sonne geniessen, sind ein paar Chilenen gerade dabei, Leuchtketten für die Weihnachtszeit aufzuhängen. Wheinachten naht – bei uns kommt aber so gar keine Stimmung auf. Es fühlt sich eher an wie Frühling.

Mehrere weitere Radreisende finden ihren Weg zum selben Camping, wo wir so unter anderem Emanuel aus Deutschland und Michal und Gosia, ein Päärchen aus Polen kennen lernen. Emanuel ist bereits seit etwa 14 Monaten unterwegs und im Norden Kanadas gestartet. Er ist jetzt auf seinem letzten Stück nach Ushuaia unterwegs und möchte noch vor Weihnachten wieder in Europa sein. Das polische Päärchen ist seit rund fünf Monaten unterwegs und durch Uruguay, Argentinien und Chile geradelt. Ihr Plan ist ebenfalls bis Ushuaia und nacher wieder gen Norden über Bolivien, Peru, Equador und Columbien zu fahren. Vielleicht sehn wir uns ja zu einem späteren Zeitpunkt wieder?! Wir geniessen den Austausch mit anderen Reisenden sehr. Vor allem mit Radreisenden, da besteht oft von Anfang an eine gewisse Verbindung, man weiss, wovon der Andere spricht und kann sich endlos über das Wetter, Strassenbedingungen und Equipment unterhalten.

Nach der dritten Nacht, klingelt überall der Wecker schon sehr früh am Morgen. Es ist kalt draussen. Ruhig und jeder für sich, packen wir unsere Sachen zusammen. Jeder Handgriff sitzt inzwischen, und die Abfolge der Handlungen bis alles gepackt und das Velo beladen ist, sind effizient und geordnet. Nach einem Kaffee, gehts dann los zum 7km entfernten Hafen. Wir sind die Ersten die aufbrechen und kommen somit Überpünktlich dort an. „Die Schweizer halt“. Wir sind ein wenig aufgeregt. Heute liegt eine weitere Herausforderung vor uns. Eine Etappe, über die wir schon vieles gelesen und gehört haben. So kommt es, dass wir nur dank Maren, einer deutschen Reisenden, im letzten Moment daran erinnert werden, noch ein Foto vom Schild mit dem Kilometer 0 von der Carratera Austral drauf, zu schiessen. Schliesslich muss dies schon ausgiebig zelebriert werden. Wir verspüren auch ein wenig Stolz.

Aber dann rasch zurück, aufs Boot, denn das Abenteuer ist noch lange nicht zu Ende. Es gibt zwei Schiffe, ein grösseres, langsameres und ein kleineres, welches etwa eine Stunde schneller am Ziel ankommt. Wir nehmen das grössere und komfortablere. Es kommt durchaus vor, dass die Schiffe wegen zu starkem Wellengang nicht fahren können, obwohl der Lago O‘Higgins wie der Name schon sagt, nur ein mittelgrosser See ist. Nach einer drei stündigen Überfahrt, erreichen wir dann das Ende des Sees. Da steigen nur wenige Leute aus, nämlich diese, welche wie wir, ein kleiner Pass überqueren und bis zum nächsten, 21km entfernten See, dem Lago de Desierto, wandern wollen. Alle anderen bleiben auf dem Schiff, um einen Rundgang bis zum Gletscher zu machen. Wieder bepacken wir unsere Räder und kommen nach einem Kilometer bereits beim chilenischen Zoll an. Besonders wohl fühle ich mich da nicht. Man wird nur Einzeln in einen Raum gelassen. Ein Mann hinter dem Pult, welcher den Pass checkt, und einer der daneben steht, der mich checkt. Als ich den Pass rüber reiche, vergesse ich die argentinischen Pesos, welche ich schon lange darin aufbewahrt hatte, heraus zu nehmen. Wortlos nimmt er das Geld heraus und gibt es mir zurück. „Perdón“, versuche ich mich zu entschuldigen. In Argentinien sei diese Art von Bestechung eher möglich. In Chile hingegen wird das überhaupt nicht gern gesehen.

Danach machen wir uns auf den Weg. Es ist 12 Uhr, also haben wir rund fünf Stunden Zeit, um an den Lago de Desierto zu kommen, wo dann das nächste Schiff fährt. Die Strasse ist sehr steil und oft übersät mit Golfball grossen Steinen. Was das fahren unmöglich macht. Wir müssen öfters absteigen und stossen. Das ist sehr streng, da man weder mit den Füssen, noch mit dem Velo halt finden kann und das Fahrrad mit dem ganzen Gewicht, seitlich wegzurutschen droht.

Mit einem Blick zurück zwischendurch, werden wir aber reichlich für unsere Mühen belohnt. Der Lago O‘Higgins zeigt sich von oben herab in schönstem, hell leuchtendem Türkis. Solche überwältigende Momente welche die Natur immer wieder zu bieten hat, geben Kraft weiter zu gehen.

Schon bald haben wir so den höchsten Punkt erreicht und kommen jetzt besser voran. Der Weg führt durch den Wald und ist wunderschön anzusehen und angenehm zum fahren.

Es sind viele Radfahrer und Wanderer unterwegs. Unter anderem auch das Päärchen aus Frankreich Max und Marion, welche wir schon in Cochrane getroffen, und später an einem Fluss mit ihnen gefischt hatten. Sechs Kilometer vor dem Ziel verändert sich der auch mit einem Auto gut befahrbare Weg in einen Wanderweg. Von da an müssen wir das Velo immer wieder schieben, über Baumstämme und hohe Absätze tragen oder durch Bäche transferieren.

Urs verspürt dabei grosse Freude und bekommt Lust auf Mountainbiking. Ich eher weniger und versuche Schritt zu halten, was nicht klappt. Aber ganz Gentlemen like, kommt Urs immer wieder zuück gerannt um mir mit meinem Fahrrad zu helfen. Schliesslich kommen wir dann am See an. Es war insgesamt dann doch nicht so schlimm wie gedacht, bzw. gehört. Wobei das schöne und trockene Wetter bestimmt viel dazu beigetragen hat. Beim argentinischen Zollhaus – ah ja, Welcome back to Argentina 🙂 – treffen wir Emanuel und zwei Briten.

Der argentinische Zoll ist um einiges entspannter als der chilenische. Wir quatschen mit den Zollbeamten über Fussball, Essen und Trinken. Für den Stempel wird der Pass mehrere Male ganz genau ausgerichtet und mit viel Zeit und Liebe schliesslich, mit auf allen Seiten dem exakt gleichen Abstand, auf dem Papier platziert. Ja, wir freuen uns wieder in Argentinien zu sein. Es fühlt sich fast ein wenig an wie nach Hause kommen. Danach erstmal die nassen Schuhe gewechselt und zu Mittag gegessen. Um 17.30 Uhr gehen wir dann aufs Schiff, welches uns zur gegenüberliegenden Seite bringt. Die Sonne scheint und der Blick auf den „Fitz Roy“ ist eindrücklich.

Etwa eine Stunde später sind wir wieder an Land. Wir beschliessen, zusammen mit Emanuel, noch Heute bis nach El Chaltén zu fahren. So wie wir gehört hatten, sollten die letzten 20 von 30km geteert sein. Es ist ein schöner Weg an einem Bach entlang, gesäumt von spitzen Bergen und Felswänden. Die Abendsonne taucht die Landschaft in sanftes Licht, was die Farben der Natur intensiver erscheinen lässt. So fährt es sich einfacher, auch wenn wir schon einen langen, anstrengenden Tag hinter uns haben.

Die Strecke zieht sich hin und der versprochene Asphalto will und will nicht kommen. Die letzten zehn Kilometer zehren dann doch noch an unseren Kräften. Es ist bereits am dämmern und die Uhr zeigt 21.30 als wir dann endlich in El Chaltén einfahren und das erste Mal seit 510 Kilometer wieder feinsten Asphalt unter unseren Rädern spüren.

Mein Fahrrad bekommt zur Belohnung einen Kuss. Und Urs auch. Es ist unglaublich was unsere Räder alles aushalten müssen mit den vielen Schlägen unter dem hohen Gewicht. Und das ganze ohne einen einzigen Platten – ein grosses Dankeschön an die Hersteller von Schwalbe Marathon Reifen!

El Chaltén ist ein wunderschön gelegenes, kleines Touristenstädchen und vor allem unter den Hikern sehr beliebt. Die Strassen sind gesäumt von vielen schmucken Restaurants und Bars, welche zu unserer Überraschung gefüllt sind mit Leuten. Hier scheint ganz schön was zu laufen. Bevor wir uns einen Schlafplatz suchen können, müssen wir noch argentinische Pesos holen. Auf dem Camping duschen wir kurz und machen uns dann gleich wieder auf um zur Feier des Tages auswärts Essen zu gehen. Es gibt ein leckres Milanesa und ein grosses Bier. Lange mögen wir nicht feiern, schon am Tisch fallen uns fast die Augen zu.

Da die Windbedingungen, laut Windy App, für die kommenden zwei Tage gut aussehen, brechen am nächsten Morgen zu dritt bereits wieder nach El Calafate auf. Die ersten 80km fliegen wir über die Strassen und geniessen das ruhige dahingleiten mit dem Wind im Rücken.

Die Landschaft verändert sich schlagartig. Wo vorher noch hohe Berge, Bäche und Bäume waren, ist bald nur noch eine trockene, flache und endlosweite Steppe zu sehen. Ich bin tief beeindruckt von dieser ungewöhnlichen, öden Landschaft.

Unterwegs treffen wir zwei Kanadierinnen Steph und Audry, und so sind wir plötzlich zu fünft unterwegs. Irgendwann kommts wies kommen musste und wir kommen an eine Kreuzung. Von da an haben wir starken Seiten- oder Gegenwind. Zum Glück sind wir zu fünft und können so abwechslungsweise im Windschatten der anderen fahren. So kommen wir trotz widrigen Bedingungen rasch voran. Es macht grossen Spass in der Gruppe zu fahren und da es kaum Verkehr hat, können wir die ganze Strasse nutzen. Kurz kommt mir der Gedanke, dass es toll wäre, so ein Foto von uns zu haben. Irgendwann sehen wir von weitem drei weitere Personen am Strassenrand stehen. Eine Person läuft auf die Strasse und macht Fotos von uns. Es ist wie ein epischer Moment. Alles passt perfekt zusammen, ohne dass wir das in irgendwiner Weise geplant hätten. Und das Foto wird perfekt:

Und als wir näher an die Personen ran fahren, erkennen wir Harald und Elke, das deutsche Ehepaar Aus Tralien. Ein freudiges Wiedersehen folgt. Mit ihnen, ist auch noch ein uns Unbekannter dabei. Er ist aus Slowenien und zu Fuss und einen Kinderveloanhänger vor sich hin schiebend, durch Südamerika unterwegs. Elke und Harald schliessen sich uns für das Stück bis zum nächsten Camping an. Dort angekommen füllen wir unsere Wasserflaschen auf (wir wissen nicht genau, wann wir das nächste Mal die Möglichkeit dazu haben werden). Elke und Harald bleiben hier über Nacht. Wir anderen fünf fahren noch weiter. Auch heute zieht sich der Weg wieder hin und der Wind bläst aus allen Richtungen nur nicht von hinten. Urs fühlt sich schon seit dem Morgen nicht 100% fit. Das Unwohl sein hat sich über den Tag hinweg noch verstärkt und er ist am Ende seiner Kräfte als wir schliesslich bei einem wunderschönen Campspot, direkt am See, ankommen.

Er hat den ganzen Tag kaum gegessen und probiert deshalb doch ein paar Spaghetti zum zNacht zu sich zu nehmen. Mit der Zeit fühlt er sich etwas besser und ist um 20 Uhr im Bett um Kräfte für den nächsten Tag zu tanken. Auch ich verabschiede mich früh von den andern und freue mich, bald im wohlig warmen Schlafsack zu sein und mich meinen Träumen hinzugeben.

Am nächsten Morgen fühlt sich Urs wieder besser. Wir machen uns auf und bringen die ersten 30km bis zur Kreuzung rasch hinter uns. Da verabschieden wir uns dann von Steph und Audry, sie lassen El Calafate aus und fahren direkt Richtung Ushuaia. Da warens nur noch drei…Wir kämpfen uns die 32km bis zu unserem Ziel durch. Der Wind fegt uns ins Gesicht und mich manchmal sogar von der Strasse.

Nur mit vereinten Kräften schaffen wir es, einen 10km/h Schnitt beizubehalten und fahren drei Stunden später in El Calafate ein. Auch El Calafate ist ein schöner und sehr touristischer Ort. Wir finden schnell eine Eisdiele mit Wifi wo wir uns online ein Hostel reservieren. Im „Cambalacha“ angekommen beziehen wir unser vierer Zimmer. Wir haben bereits einen Zimmergenossen, der leider wirklich übel riecht. Zum Glück bekomme ich das Bett direkt am Fenster. Danach duschen und nochmals raus das Städchen erkunden. Wir haben bereits wieder drei strenge Tage hinter uns und gönnen uns einen entspannten Abend bei Burger und Bier.

Am nächsten Tag zeigt der Kalender der 4. Dezember, Urs 30igster Geburtstag. Wir machen zusammen mit Emanuel einen Ausflug zum weltbekannten Perito Moreno Gletscher. Schon als wir mit dem Bus dahin fahren und den Gletscher das erste Mal sehen, entlockt es uns Besuchern ein Raunen. Wir haben nur die Hin- und Rückfahrt gebucht und somit über vier Stunden Zeit, einfach auf einer langen Passarelle entlang zu laufen und den Gletscher zu bestaunen. Und wir kommen aus dem Staunen nicht mehr heraus. Der Anblick dieser riesigen Eismasse, mit ihren tiefen, hell leuchtenden Eisspalten ist einfach atemberaubend. Und wenn dann noch grosse Eisstücke abbrechen und ins Wasser fallen, und dabei ein lautes Donnern verursachen, fühlt man sich plötzlich unendlich klein und überwältigt von den Kräften der Natur.

Tatsächlich ist der Perito Moreno einer der wenigen Gletscher, der dank eines kalten Mikroklimas noch am wachsen ist. Irgendwann machen wir dann eine Lunchpause auf einer Plattform mit Bänkli und guter Aussicht auf das Naturschauspiel. Emanuel überrascht uns mit leckren Brezeln aus einer echten, deutschen Bäckerei. Dazu haben wir Rotwein mitgebracht und feiern Urs Geburtstag gemütlich und entspannt. Schnell vergeht die Zeit und schon bald sind wir auf dem Rückweg. Im Hostel machen wir uns dann ready für das Abendessen. Urs weiss davon nichts, aber ich hab einen Tisch in einem guten, argentinischen Restaurant reserviert und dazu noch Elke und Harald eingeladen, welche inzwischen ebenfalls in El Calafate eingetroffen sind. Um 20 Uhr werden wir von einem Shuttle abgeholt, da das Resti etwas erhöt, mit Aussicht über die Stadt, liegt. Als wir dann ankommen sind Elke und Harald bereits da, und zu unser aller Überraschung noch eine weitere Person, Peter aus Basel. Wir hatten ihn in Puerto Rio Tranquilo getroffen und seither nicht mehr gesehen. So sind wir eine gesellige Runde (sechs Radreisende) und verbringen einen sehr gemütlichen und lustigen Abend mit leckrem Asado und gutem Rotwein.

Am nächsten Tag schlafen wir aus und verabschieden uns dann am Vormittag von Emanuel, welcher bereits wieder weiter fährt, da seine Zeit langsam knapp wird bis sein Flieger in Ushuaia geht. Kaum ist er abgereist, steht ein neuer Reisender vor der Tür. Einer, den wir noch nie gesehen, aber schon viel gehört haben; ein Japaner, der mit seinem Skateboard und einem Kinderwagen schon ein Teil durch Asien und Europa, und jetzt von Alska bis hier her, fast die ganze Welt durchquert hat. Natürlich müssen wir von solch einer Legende sofort ein Foto machen.

Danach lassen wir unsere Seele baumeln und machen uns ready für die nächsten Tage. Wir haben mit Elke und Harald abgemacht, die nächste Strecke bis nach Puerto Natales gemeinsam zu fahren. Es war ein kurzer, aber sehr schöner Stopp in El Calafate!

El Calafate – Puerto Natales 269 km

Am Morgen treffen wir uns wie verabredet mit Elke und Harald. Die beiden mussten ihren Zeltplatz nun doch noch bezahlen. Der Zeltplatzwart hatte sich zuvor zwei Tage nicht sehen lassen, hat sich nun aber doch kurz gezeigt um einzukassieren. Sie sind wie gewohnt gut gelaunt und freuen sich auf die kommende Etappe. Zum nächsten Zwischenziel sind’s 270km. Zuerst 100km mit starkem Rückenwind, danach erwarten wir in eine Wand hineinzufahren. Die Erfahrungen die wir während teilweise harten Tagen auf der Careterra Austral bereits gesammelt haben, zeigen aber ihre Wirkung und wir sind alle guten Mutes. Wir rechnen mit 4 Tagen Reisezeit. Dies auch deshalb, weil wir gewarnt werden, dass 70km des Weges über schwer fahrbaren Ripio führen.

Am ersten Tag möchten wir mit Rückenwind gleich 120km bewältigen und bei einer alten Polizeistation übernachten. Die nächste geeignete Stelle um ein Zelt aufzuschlagen, käme dann erst nach 170km. Dies liegt vorallem an den starken Winden Patagoniens. Es gibt in dieser Etappe wegen den heftigen Winden nur schwache Vegetation, Bäume sowieso nicht und auch sonst keinen Schutz. Ein Zelt ungeschützt in diesen Winden aufzuschlagen ist schlicht unmöglich.

Um 9 Uhr fahren wir los. Überraschenderweise ist es zu Beginn noch ziemlich windstill, wir kommen aber auch so schnell vorwärts. Für die 30km aus El Calafate, wo wir bei der Hereinfahrt so gekämpft hatten, benötigen wir nun gute 50 Minuten, inkl. heiterem Geplauder und Diskussionen über Fahrradequipment.

Um etwa 11 Uhr zieht dann der Wind an und katapultiert uns 30 Kilometer lang, durch die typisch karge Landschaft Patagoniens, unserem Ziel entgegen. Wir geniessen den starken Rückenwind, der uns noch eine 600m Steigung hochschiebt, im Wissen, dass unser Weg schon bald abbiegt und wir zuerst heftigem Seiten- und dann Gegenwind ausgesetzt sind. Übrigens, nur eine Windrichtung hilft dem Fahrradfahrer. Überraschenderweise bremst Seitenwind einen Velotourer fast genau so ab wie Gegenwind.

Am Ende des Aufstiegs erreichen wir ein Plateau, auf dem ausser ein paar kleinen Sträuchern gar nichts mehr wächst. In der Ferne sieht man ein paar Berge, dazwischen nur karge flache Steppe. Wir werden von heftigen Seitenwinden erfasst, die uns fast vom Fahrrad werfen. Wir müssen uns mit den Fahrrädern richtig in den Wind legen um überhaupt fahren zu können. Echt beeindruckend. Nach einiger Zeit dreht die Strasse aber wieder ab und wir können nochmals für 30km mit dem Rückenwind fliegen.

Doch dann biegen wir gegen Westen ab. Der Wind kommt in dieser Gegend an 365 Tagen pro Jahr aus Westen. Der Ripio beginnt und der Gegenwind schlägt uns ins Gesicht. Zum Glück ist die verlassene Polizeistation nur noch 20 km entfernt, denn jetzt wird es richtig hart. Der Ripio ist in diesem Teil zwar noch nicht ganz so schlimm, es gibt immer irgendwo eine fahrbare Spur, doch die Kombination der beiden Faktoren bremst uns auf ca 8 km/h ab. Das Hauptproblem bei so starken Winden ist, neben den unglaublich langsamen Vorwärtskommen, ein psychologisches. Man strengt sich an, als würde man einen Berg hochfahren, doch fühlt es sich an als würde die ganze Leistung einfach verpuffen. Dazu kommt das wirklich laute Rauschen des Windes. Beides zusammen ist Gift für die Motivation. Natürlich sind wir aber mittlerweile geübt im Umgang mit diesen Bedingungen und die Gruppe kommt gut gelaunt bei der Polizeistation an.

Die Polizeistation selbst ist etwas merkwürdig. Sie wurde an einer kaum befahrenen Strasse, mitten im nirgendwo gebaut und ist nun verlassen. Weitere Gebäude gibt es nicht. Heute wird sie nur noch als Refugio von Fahrradtourern auf dieser unwirtlichen Strecke benutzt. Wie wir erleichtert feststellen, gibt es daneben tatsächlich einen Bach. Wir haben von anderen Reisenden gehört, dass es Wasser gibt, doch fuhren wir zuerst an ein ausgetrocknetes Bachbett heran, und befürchteten schon, dass wir hier nicht nachfüllen können. Das wäre äusserst unangenehm gewesen. Wir filtern (ziemlich viele Gänse hier!?) Wasser, gönnen uns ein Bad und lassen dann beim Nachtessen den Tag ausklingen. Elke und Harald haben sogar Wein dabei, echte Profis;)! Wir entschliessen uns übrigens dagegen im Haus zu schlafen, es riecht etwas merkwürdig. Viele Radfahrer machen dies aber so. Wir stellen die Zelte stattdessen auf der windgeschützten Seite des Hauses auf.

Das erste was wir am nächsten Morgen sehen, ist ein junges Fahrradtourerpaar aus Schottland, die Richtung Norden fahren. Sie haben nur wenige Kilometer vor der Polizeistation geschlafen und sind überglücklich zu hören, dass es hier Wasser gibt. Ihnen ist schon am Vorabend das Wasser ausgegangen und sie wussten nichts von der nahen Polizeistation. So haben sie ihr Zelt ein wenig geschützt in einer Senken neben der Strasse aufgestellt. Keine gute Nacht.. Wir unterhalten uns kurz und brechen dann auch auf. Die ersten 5km kommen wir gut vorwärts, doch dann beginnt der wohl härteste Tag bisher. Für die 50km benötigen wir knapp 7 Stunden. Der nun sehr schlechte Ripio und der starke Gegenwind bremsen extrem. Zeitweise steigen wir sogar vom Fahrrad und schieben, weil wir so besser vorwärts kommen. Und dies alles auf flacher Strecke. Ein wolkenloser Himmel, wunderschöne Steppe und die Gewissheit, nach 50km zu „campen“ hält aber alle bei Laune. Unterwegs sehen wir auch überraschend viele Tiere, besonders eindrücklich für so schwache Vegetation. Darunter viele wilde Guanacos und unerwarteterweise sogar ein paar Flamingos! Die Szenerie erinnert manchmal stark an eine Safari.

Unser Tagesziel ist eine Tankstelle, wieder mitten im Nirgendwo, welche offenbar Fahrradreisenden erlaubt im Hinterhof ihre Zelte aufzuschlagen. Wildes campieren ist wegen den starken Winden nach wie vor undenkbar. Als wir bei der Tankstelle ankommen, werden wir aber ab- und an das „TCS“ Gebäude gegenüber verwiesen. Die „TCS“-Mitarbeiter haben, aufgrund der stetigen Anfragen und um sich etwas dazuzuverdienen, im Hinterhof einen kleinen improvisierten Zeltplatz aufgebaut, wo man gegen eine Gebühr das Zelt aufschlagen darf. Der Platz ist nur leicht Windgeschützt und man hat ständig ein paar Hühner ums Zelt, dafür gibt es eine Dusche und man darf ihren Aufenthaltsraum und die Küche benutzen. Wir merken auch, dass sie sich über die Gesellschaft freuen. Wir sind immer noch mitten im nirgendwo und richtig oft müssen sie hier sicher nicht ausrücken um Autofahrern in Not zu helfen.

Nach dem Nachtessen essen wir noch Cookies mit Elke und Harald und beschliessen am nächsten Tag um 5:30 aufzustehen und früh loszufahren, um möglichst einen grossen Teil der Strecke ohne Gegenwind zu bewältigen. Wir möchten mindestens 68km machen, wovon die ersten dreissig direkt gegen den Wind gerichtet sind. Bisher hat der Wind etwa ab 10 Uhr angefangen zu blasen. Wenn wir also um 7 abfahren, sollten wir die 30km leicht bewältigen können. Soweit der Plan. Als wir um 7 Uhr losfahren ist es noch praktisch Windstill. Wir machen Tempo, an der Spitze wechseln wir uns ab und rasen die ersten Kilometer. Im Rücken geht die Sonne auf und wir sind alle motiviert heute dem Wind zuvorzukommen. Doch schon nach 10 Minuten haben wir plötzlich leichten Gegenwind und nochmals 10 Minuten später kleben wir am Boden. Naja.. dafür haben wir sicher genügend Zeit um die 68km zu bewältigen. Der Wind ist genau so stark wie am Vortag, aber wir haben seit der Tankstelle wieder geteerte Strassen, weshalb wir etwa 10km/h halten können.

Am Horizont sehen wir auch, dass es wieder Bäume gibt, was in der Regel weniger Wind bedeutet. Nach 40km nimmt der Wind zu unserer Erleichterung dann tatsächlich ab und wir kommen schneller vorwärts. Schon bald kommen wir zum Fluss, an dem auch unser heutiger Schlafplatz liegt. Es handelt sich um einen öffentlichen „Park“ auf der anderen Seite des Flusses. Um dahin zu kommen, muss man den Fluss durchqueren, eine Brücke gibt es nicht. Es gibt aber eine untiefe Stelle, wo wir die Fahrräder durchschieben und gleichzeitig ein erfrischendes Fussbad nehmen können. Da Samstag ist, sind heute ausserdem viele Argentinier mit ihren Pickups da und zelebrieren das wöchentliche Asado. Wir entschliessen uns die Zelte etwas abseits aufzustellen und geniessen den schönen Nachmittag.

Das schwierigste dieser Etappe ist jetzt definitiv überstanden. Bis nach Puerto Natales sind es nur noch 40 Kilometer. Auf der Strecke liegt noch der argentinische und chilenische Zoll, ein 200m Minipass und Rio Turbio, eine kleine Stadt, die sich wegen des Kohlebergbaus da gebildet hat. Die Strecke ist schön zu fahren und für uns nach den letzten paar Tagen eine echte Sonntagsfahrt. Wir halten oft, trinken Kaffee, geniessen die Sonne und alle sind bester Stimmung. Sogar der chilenische Zoll ist diesmal schnell und unkompliziert. Kurz vor dem dem Zoll beginnt eine 600m Abfahrt. Wir fahren los halten aber gleich wieder an. Irgendwo her kommt ein Geruch, als würde jemand Metall schweissen. Weit und breit ist aber niemand zu sehen, auch sind keine Autos in der Nähe. Also muss es eines unserer Fahrräder sein. „Einfach der Nase nach“, lautet das Motto und schnell finden wir den Verursacher des Geruchs: Franziskas Fahrrad! Die Bremsbeläge der Scheibenbremsen ihres Fahrrads sind vorne und hinten komplett durch. Metall drückt auf Metall. Dazu gibt es nun zwei Sachen zu sagen: 1. Fränzis Bremstechnik ist hervorragend, ansonsten wären nur die hinteren Beläge durch. 2. Wahrscheinlich waren die Beläge schon vorher durch, doch kamen die Bremsen wegen des Gegenwindes gar nicht mehr zum Einsatz.

Natürlich haben wir Ersatzbremsbeläge dabei und wechseln sie noch beim Chilenischen Zollhaus aus.

1 Stunde später treffen wir in Puerto Natales ein. Für Fränzi und Urs ist die heutige Fahrt und speziell die Ankunft ein emotionaler Moment. Puerto Natales ist unser erstes grösseres Zwischenziel und markiert für uns den südlichsten Punkt unserer Reise. Mit einem breiten Lachen im Gesicht fahren wir in die Stadt hinein und freuen uns auf den Pisco-Sour mit dem wir auf die ersten drei Monate unserer Reise anstossen werden. Die ersten drei Monate waren wunderschön! Wir haben die Gastfreundschaft Argentiniens kennengelernt, dessen öde Pampa durchquert, in den Gletscherbächen Patagoniens gebadet, an vielen wunderschönen Plätzen wild campiert und viele neue Freundschaften geschlossen. Die Natur war oft unberührt, aber auch rau und kalt und hat uns ein paar harte Tage auf dem Fahrrad beschert. Puerto Natales steht für uns deshalb auch für den Sommeranfang. Am 17. Dezember fahren wir per Fähre in 4 Tagen von Puerto Natales nach Puerto Montt. Danach gehts Richtung San Fernando und Pichilemu, wo mediterranes Klima herrscht, und später nach Nordargentinien, wo wir die kalten Tage der Carretera wahrscheinlich noch vermissen werden. Bis zur Abfahrt der Fähre am 17. haben wir aber noch eine Woche Zeit in Puerto Natales um die erste Etappe zu feiern und diverse ToDo‘s zu erledigen. Unter anderem unseren Wasserfilter zu reparieren/ersetzen (Kälte ist ein no go für den Filter) und die Fahrräder zu bemalen (Fränzis Geburtstagsgeschenk für Urs). Fränzi ist Feuer und Flamme dieser Leidenschaft nachgehen zu können, was bei den Temperaturen und Winden hier auch dringend nötig ist.

2 Gedanken zu “Treffpunkt alte Polizeistation

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