Mendoza – Villa Unión 474km
Mendoza zählt mit ihren 115‘000 Einwohnern (ohne Agglo) zu einer der grössten Städte in Argentinien. Hauptsächlich bekannt durch den Wein, welcher in unzähligen Bodegas für Degustationen zu einem stolzen Preis an Touristen verkauft wird. Es werden auch in unserem Hostel „Bike and Wine“ – Touren Angeboten. Natürlich machen wir keine Tour. Bike haben wir selber und Wine gibts um die Ecke beim Supermercado zur genüge. Ausserdem hoffen wir, dass wir auf unserer Route gen Norden, sowieso weitere, schöne und idyllische Weingüter anfahren werden und so mal spontan eine kleine Degustation machen können. Oder eventuell eine Führung in den ebenfalls vorhandenen Olivenöl Produktionsbetrieben?
Was uns persönlich überrascht ist die Ruhe, Sauberkeit und das viele Grün in der Stadt. Wir hatten im Vorfeld gehört, dass Mendoza nichts Schönes sei, je nach Stadtteil gefährlich und dass es ausser dem guten Wein gar nichts gibt. Anzusehen gibt es wirklich nicht viel, aber gemütlich durch die Stadt zu schlendern und hie und da ein Kaffee oder leckeres Eis zu geniessen, entspricht genau unserem Gusto.
Im Hostel kommen zu unserer Überraschung täglich neue Velotourer an. Wir erfahren, dass der Hostelbesitzer auch bei „Warmshowers“ ist, und dass wenn man ihm über dieses Portal schreibt, man als Fahrradteisender zwei Nächte gratis logieren kann. Unter anderen lernen wir auch Silvan aus Deutschland kennen. Er ist in Columbien vor rund elf Monaten gestartet und jetzt unterwegs Richtung Süden. Er gibt uns auch gleich ein paar wertvolle Übernachtungstips für die kommenden paar Tage und einen Kontakt von einem weiteren Warmshowers Host in der nächsten Stadt. Celina, so heisst sie, sagt uns nach Anfrage sofort zu. Aber vorerst sind wir bei Chicho, dem argentinischen Zollbeamten, der uns vor wenigen Tagen so freundlich Willkommen geheissen hatte, zum Asado eingeladen. Georgi, ein junger, deutscher mit Wurzeln in Russland und als Backpacker im selben Hostel unterwegs, begleitet uns ebenfalls. Um 21Uhr werden wir von Chicho und seiner 20jährigen Tochter direkt vor dem Hostel abgeholt und zu ihnen nach Hause chauffiert. Das Haus ist sehr schön und modern. Im Garten steht bereits die Piccada auf dem Tisch und das Fleisch brutzelt über der Glut. Wir lernen Chichos Frau Cezilia und ihren Sohn kennen. Cezilia hatte mehrere Jahre in Tralien gelebt und kann nebst englisch sogar ein wenig Deutsch sprechen. Es wird ein super schöner und gemütlicher Abend mit viel gutem Fleisch, gutem Wein und guten Gesprächen. . .
…Am nächsten Morgen erwachen wir zu früh und zu dehydriert. Hatte ich schon erwähnt, dass wir kaum mehr trinkfest sind? Es wird ein lazy day, welcher wir mit Blog schreiben und mit anderen Reisenden quatschen im Hostel verbringen. Ausserdem entscheiden wir uns, den Aufenthalt in Mendoza um eine Nacht zu verlängern. Urs hat seit ein paar Tagen stark und anhaltend Durchfall. So schlendern wir an unserem letzten Tag nochmals gemütlich durch die Stadt und treffen zufällig Luisa vom Paso Cristo Redentor wieder. Wir machen es uns in einer Eisdiele bequem und quatschen stundenlang. Sie erzählt uns von ihren Abenteuern auf dem Fahrrad und was sie die letzten eineinhalb Jahre unterwegs alles erlebt hat. Ich finde es echt immer wieder sehr eindrücklich und mutig, speziell wenn Frauen ganz alleine mit dem Fahrrad in der Welt umherreisen! Auf meine Frage hin, ob sie nicht manchmal Angst hätte, meint sie „Man gewöhnt sich dran…“
Als wir dann am nächsten Tag wieder aufbrechen, geht mir dieser Satz „Man gewöhnt sich dran“, noch eine ganze Weile nach. Raus in die Welt zu gehen, unbekannte Länder zu erkunden, mit fremden Menschen, Kulturen und Gebräuchen konfrontiert zu werden, ohne dass man die gleiche Sprache spricht, braucht Mut. Schon lange vor unserer Reise wurde ich regelmässig gefragt: „Hast du nicht Angst?“ ,oder erzählt: „Hast du gehört, da wurden wieder Reisende brutal ausgeraubt. Südamerika ist gefährlich.“ Natürlich hatte ich auch Angst, wenn ich mir vorstellte was passieren könnte, wenn ich mir ausmalte, wie es sein könnte. Auf unserer Reise habe ich aber rasch bemerkt, dass meine Vorstellungen viel düsterer waren, als es tatsächlich ist. Die Welt und die Menschen hier sind viel bunter und vielfältiger. Das Bild, welches wir in Europa von Südamerika haben, ist das vom bösen, gefährlichen und unberechenbaren Südamerika, was die Medien vermitteln. Klar, wir hören nur schlechte News und projizieren diese auf den ganzen Kontinent und Mittelamerika eingeschlossen. Würden wir dies in Europa auch so machen, wäre Europa super gefährlich! Und wer fragt schon, bei einer Reise nach Frankreich: „Hast du nicht Angst?“
Wir sind erst wenig über vier Monate unterwegs, und haben erst Chile und Argentinien selber kennen gelernt. Wobei Chile als sehr sicher gilt. Das heisst unsere Erfahrungen sind noch gering. Aber wir haben bisher keine einzige gefährliche Situation erlebt, bereits etliche andere Reisende kennengelernt und mit unzähligen Einheimischen über das Thema Sicherheit gesprochen. Und unsere Devise ist genau das, mit anderen über ihre Erlebnisse zu sprechen und herauszufinden, was, wann, wo gefährlich ist und was es zu Beachten gibt. Wenn einer aus Buenos Aires rät, nicht in das „Retiro-Viertel“ hinein zu gehen, oder vorschlägt, vom Flughafen besser ein Taxi zu nehmen anstatt stundenlang durch die Barrios zu fahren, dann machen wir das. „Don‘t be stupid“ und „Don‘t let your gard down“ ist unser Motto. Aber es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, dass wir uns nicht manchmal unwohl und etwas mulmig fühlen. Grundsätzlich sind wir sehr vorsichtig, achten gut auf unsere wichtigsten Sachen (wobei inzwischen alles was wir dabei haben super wichtig ist, aber dies ist ein anderes Thema) und verhalten uns der Umgebung entsprechend. Aber zum Beispiel das Schlafen im Zelt, unsere vier, sehr dünnen und instabilen Wände, welche unsere einzige Privätsphäre darstellen, lässt mich manchmal noch immer nicht völlig entspannen. Es könnte ja was geklaut werden…Oder auch wenn es nur ein Hund ist, der an unser Zelt pinkelt, welches wir wegen der Hitze ohne Aussenzelt aufgestellt haben, und er somit auch meinen so wichtigen Superschlafsack, meint Bett, mein heiliger Gral trifft…Natürlich sind wir angreifbar. Aber was die Hunde betrifft, wenn wir schon beim Thema sind, da fällt es mir inzwischen ein wenig einfacher, mit ihrer ständigen Präsenz umzugehen. Warscheinlich habe ich mich daran gewöhnt, wie Luisa sagte. Tatsächlich habe ich mich auch etwas an die (verglichen mit dem schweizer Standart) oft fehlende Hygiene und Sauberkeit gewöhnt?! Was ist denn da los? Mit unseren bisherigen Erfahrungen und mithilfe von so vielen positiven Begegnungen haben wir uns inzwischen auch daran gewöhnt, ständig mit einer unbekannten Umgebungen, fremden Menschen und immer wieder neuen Begebenheiten konfrontiert zu sein. Angst haben wir keine. Und wir können neue Situationen entspannter und gelassener an gehen. Langer Rede kurzer Sinn; wir sind mutig und machen uns ein eigenes Bild vom Unbekannten. Und falls wir doch vor etwas Angst haben sollten, kein Problem, irgendwann werden wir uns bestimmt daran gewöhnen.
Die Strecke von Mendoza bis nach Media Agua, wos den nächsten Campingplatz gibt, ist über 120km lang. Der Himmel ist bewölkt und zwischendurch Regnet es sogar ein wenig. Die unter Touristen berühmte Ruta 40 ist langweilig, aber viel Verkehrsarmer als wir gedacht hatten. Mithilfe des Rückspiegels kommen wir um etwa 16 Uhr unbeschadet in Media Agua an. Als wir den Camping finden, ist er geschlossen. „Porque la lluvia“ (wegen dem Regen), sagt uns ein Nachbar. Naja, Sinn macht das für uns überhaupt keinen, aber ändern tuts trotzdem nichts. Also stärken wir uns mit Kaffee und Schokolade an der Tankstelle und fahren weiter Richtung San Juan, wo es in etwa 30km ein weiterer Camping geben soll. Keine Ahnung ob der ebenfalls wegen Regen geschlossen hat. Deshalb schreibe ich noch kurz eine Nachricht an Celina, dass es unter Umständen sein könnte, dass wir doch einen Tag früher als gedacht bei ihr Eintreffen (190km). Also schnell weiter und in die Pedale getreten. Wir geben Gas, es liegen noch viele Kilometer vor uns und es ist bereits spät. Nach etwa 30weiteren Kilometer kommt uns ein hupendes Auto entgegen (dass ist nichts Neues, sehr viele hupen beim vorbeifahren. Meistens um zu zeigen, dass sie es eine tolle Sache finden Fahrradtouren zu machen). Dieses Auto aber kehrt bei der nächsten Gelegenheit und überholt uns wieder hupend und hält dann vor uns an. Was für eine Überraschung! Es ist Celina, unser Warmshower Host. Sie hatte meine Nachricht gelesen und dann alles stehen und liegen gelassen um uns mit ihrem Auto abzuholen. Wir sind froh, nach 150km Strecke mit Regen und Verkehr, im Auto zu sitzen und zu wissen, wo wir die Nacht verbringen können bevor es eindunkelt. Als wir bei ihr eintreffen gibts zuerst mal Kaffee, Medialunas und anderes Süssgebäck. Wir stellen unser Zelt im wunderschönen, grossen Hinterhof (mit Pool!) auf und kochen uns Polenta zum Nachtessen. Danach fallen wir müde ins Bett.
Am nächsten Tag ist wieder mal Wäsche waschen und Veloputz angesagt.
Anschliessend erkunden wir noch die Stadt und suchen grosse Wassersäcke und luftige langarm Hemden. Beides konnten wir in Mendoza nicht finden. Wegen der grossen Hitze, Trockenheit und langen Distanzen müssen wir nun viel mehr darauf achten, dass wir genügend Wasser dabei haben. Auch im Hinblick auf das kommende Land Bolivien. Bei heissen Temperaturen verdoppelt und verdreifacht sich unser Wasserkonsum ganz einfach. Wassersäcke im 10Liter Umfang können wir auch hier keine finden. Also überlegen wir uns, welche online zu bestellen, und nach Salta, zu einem möglichen Host oder Hostel senden zu lassen. Dafür finde ich aber nach einigem Suchen ein richtig luftiges langarm Hemd in weiss mit braunen Streifen. Perfekt zum Velofahren. Die Sonne hier ist einfach zu stark für unsere helle schweizer Haut. Trotzdem, dass wir eine 50+ Sonnencreme extra Sport, drei mal täglich auftragen, kommt es regelmässig zu Verbrennungen.
Ich habe schon komische Hautbläschen bekommen. Wir vermuten von der starken UV Strahlung. Wo es nur geht, probieren wir die Sonne zu meiden. Wir brechen morgens möglichst früh auf wenn wir eine lange Strecke vor uns haben und während einem Pausentag, gehen wir über die Mittagszeit gar nicht aus dem Schatten. Hinzu kommt, dass die Hitze schon bereits vor dem Mittag stark zu nimmt und uns müde und langsam macht. Wir sind froh, wenn es zumindest über Nacht etwas abkühlt.
Am Abend sind wir dann bei Celina noch zum Nachtessen eingeladen. Die Zeit vergeht wie im Flug, bis es bereits wieder Schlafenszeit ist.
Am kommenden Morgen machen wir noch den Blog fertig und laden ihn hoch. Das dauert wie immer länger als gedacht. So starten wir dann doch, entgegen unseren Vorsätzen, erst gegen 11Uhr, wo die Sonne schon sehr stark ist. Wir haben ja nur 50km zu machen, denken wir. Für diese brauchen wir dann aber länger als wir dachten und die Hitze zerrt an unseren Kräften. Endlich kommen wir am Nachmittag bei einem Restaurant direkt am Strassenrand an. Sonst gibts hier weit und breit nichts ausser Wüste und rundherum ein paar Hügel. Die Vegetation beschränkt sich auf unzählige, kleine Büsche, die sich im immer stärker werdenden Wind gen Norden neigen. Glücklich am Ziel angekommen zu sein genehmigen wir uns im Restaurant eine eisgekühlte 1,5L Colaflasche (Kurzinput spanische Sprache: Cola bedeutet Hintern oder Schwanz. Also besser ein Coca bestellen ;-)). Im kleinen, einfachen Restaurant, was mehr eine Raststätte ist, bedienen zwei junge argentinische Cousins. Sie sind sehr freundlich und wir dürfen unsere Wasserflaschen bei ihnen auffüllen. Es gibt auch Salzwasser für unseren Wassersack, sodass wir uns sogar eine Dusche nehmen können. Hinter dem Restaurant hat es mehrere, mit Stein gebaute, alte Häuserruinen. Eigentlich sind sie alle noch in sehr gutem Zustand, ausser dass die Dächer fehlen. In einem dieser Häuser bauen wir dann unser Zelt auf. Es gefällt mir und ist irgendwie romantisch.
Allzu lange hält die Romantik aber nicht an. Etwa um Mitternacht wird der Wind sehr stürmisch. Und da wir im Haus das Zelt natürlich nirgends mit Heringen befestigen konnten, fliegt es uns fast um die Ohren. Wir haben beide keine Lust schon wieder eine schlaflose Nacht zu verbringen. Ich geh raus und probiere einen windstilleren Platz rund ums Haus zu finden. Es ist bewölkt, dunkel und die Luft ist voller Sand. Wir platzieren das Zelt um, so gut es eben bei heftigen Windböen geht und hoffen dass dabei alles unversehrt geblieben ist. Dann legen wir uns wieder hin, Ohropax rein und hoffen, dass es bald aufhört. Eigentlich hatte ich gehofft, endlich mal den wunderschönen Sternenhimmel sehen zu können. Naja, dann ein ander Mal.
Am Morgen dann ist es ruhiger als wir um acht Uhr aufwachen.
Der Wecker, der um 6.30Uhr hätte läuten sollen, ist stumm geblieben. Nicht so schlimm, es ist immer noch bewölkt und mindestens 15Grad kälter als es Gestern war. Wir ziehen sogar Schuhe an und in kurzen Hosen ist es fast zu kalt. Der Wind ist heute auf unserer Seite, also ich meine er bläst stark von hinten und lässt uns die ersten Kilometer über die Strasse fliegen. Der Schmerz in meinem Kreuz ist aber leider auch sehr stark. So werden es für mich meine bisher wohl strengsten 114km bis zum Ziel. Ich fühle mich schlapp, mag kaum was Essen und meine Verdauung spielt auch verrückt. Ich bin überglücklich als wir beim Camping ankommen. Ich kann mich kaum bewegen, sitzen und laufen schmerzen und obwohl ich mehrere warme Schichten tragen, schlottere ich. Nachdem das Wasser endlich mit einem Feuer aufgehezit ist, nehme ich mir eine heisse und wohltuende Dusche. Danach lege ich mich hin und döse ein paar Stunden, während Urs Nachtessen besorgt. Am Abend stehe ich nochmals auf. Ich fühle mich etwas besser und Esse auch was. Kaum sind wir dann wieder im Zelt, schlafen wir beide sofort ein und tief und fest durch bis zum nächsten Morgen.
Der gute und tiefe Schlaf hat geholfen. Es geht mir wieder viel besser. Die Schmerzen im Rücken sind immer noch da aber lange nicht mehr so stark wie am Tag zuvor. Die Sonne scheint wieder und wir packen unsere sieben Sachen in Ruhe zusammen. Wir machen heute nur 20km bis zum nächsten Campingplatz um meinem Rücken zu schonen. Es ist eine schöne und angenehme Fahrt.
Der Camping hält auch was er verspricht und wir geniessen den restlichen Tag in der Hängematte und beim zuschauen eines Fahrrad Zeitfahrens, welches gleich oben an der Strasse stattfindet.
Am Tag darauf fahren wir zuerst über hügelige Strassen, während die Felsen rot im Morgenlicht leuchten. Auf einem Aussichtspunkt bietet sich uns ein schöner Blick auf eine weite Ebene, wo sich die Ruta40 gegen Norden zieht.
Die Strasse ist breit und wie neu. Wir sind fast alleine unterwegs und geniessen es, den gesamten Asphalt zu nutzen, während sich die Strasse unbeirrbar immer weiter geradeaus Richtung Guandacol erstreckt.
Da kommen wir dann nach etwa 85km und 600 Höhenmeter durchgeschwitz bei Mario, im Camping Don Tomas an.
Der Camping liegt etwas auserhalb des kleinen und verschlafenen Dorfes, inmitten eines Weingutes. Auf der Wiese weiden Pferde und zur Erfrischung steht ein Pool bereit. Wir sind froh, einen ruhigen Platz gefunden zu haben. Es ist Wochenende, und da geht auf den Campings oft ziemlich die Post ab unter den Argentiniern. Von den Nachbarn werden wir mit Choclo (Polenta, zusammen mit div. Gemüse, evt. Frischkäse oder Gehacktes in Maisblätter gerollt und gedämpft) und einem Hausgemachten Schnaps verwöhnt. Ihr Sohn leistet uns Gesellschaft und scheint sich zu freuen, dass etwas läuft.
Der Abend und die Nacht sind dann tatsächlich sehr ruhig. Bevor wir aber unseren wohlverdienten Schlaf bekommen, spüren wir das erste Mal auf unserer Reise ein Erdbeben (Terremoto in spanisch). Es ist ein komisches Gefühl. Wir liegen auf unseren Matten auf dem Boden und es ist, als würden unsere Matten langsam hin und her geschoben. Es dauert etwa eine Minute, danach ist alles wieder ruhig. Für uns schon etwas beängstigend, da wir das kaum kennen. Je nach Region kommt es in Chile oder Argentinien aber sogar täglich zu kleineren Erdbeben. Manchmal auch grössere. In Chile gab es im 2010 eine Tsunami, bei der auch viele Menschen starben.
Am nächsten Tag fahren wir weiter bis nach Villa Unión. Heute sind es nur etwa 45km, mit einem kleinen Hügel dazwischen. Bei der Auffahrt kommt uns ein anderer Radreisender entgegen. Er hält an. Seine Fahrradtaschen von VeloPlus verraten ihn sofort. Er kommt aus der Ostschweiz und ist schon über 2 1/2Jahre auf Reisen. Er ist erst der zweite schweizer Radreisende den wir seit wir unterwegs sind treffen. Wir quatschen eine ganze Weile und finden heraus, dass wir ihm auf Instagram schon lange folgen und seine Fotos und Beiträge immer wieder in unserem Feed aufpoppen. Leider fahren wir in die entgegengesetzte Richtung und verabschieden uns deshalb wieder. Wir hätten nichts dagegen, mal wieder etwas Fahrgesellschaft zu haben…
In Villa Unión gehen wir auf einen Camping (natürlich mit Pool) und entspannen den restlichen Tag. Am Abend gehts wieder früh zu Bett. Denn am nächsten Tag wartet wieder eine lange Etappe und viel Sonne auf uns. Also ab in die Heja und den kompromisslosen Mücken keine Chance gelassen.
Villa Unión – Chilecito 110 km
Den Super-Blutmond verschlafen wir beide, stehen dafür morgens um 6h00 bereits wieder auf. Heute wartet erneut ein 1000m Pass auf uns. Der Pass ist zweigeteilt. Er wird nach 300 Höhenmeter durch ein 20km leicht abfallendes Stück unterbrochen. Wegen der Hitze möchten wir ihn bereits am Vormittag komplett meistern.
Pünktlich um 8:00 geht es los. Die Landschaft ist karg, ab und zu fahren wir an Sanddünen vorbei und die lange geteerte Strasse wird oft und regelmässig durch ein Flussbett unterbrochen. Die Flussbetten sind meistens um die 20 Meter breit und mehr als ein Meter tief. Zur Regenzeit verhindern hier gewaltige Wassermassen ein Vorwärtskommen wohl komplett. Zur Zeit sind sie aber alle ausgetrocknet. Schade, eine kurze Abkühlung wäre bei diesen Temperaturen echt toll. Nach einiger Zeit beginnen wir uns ab der Steppen-Sandlandschaft richtig zu langweilen. Flach, heiss und ausser Kakteen nichts zu sehen.
Zum ersten Mal auf unserer Reise stecken wir beide die Kopfhörer in die Ohren und hören Podcasts/Musik. Was für einen Unterschied das macht! Jetzt erklimmen wir die Höhenmeter im Nu. Und nach ca. 500 Höhenmetern verändert sich die Landschaft erneut. Sie wird deutlich grüner und links und rechts erheben sich mächtige, dunkelrot gefärbte Felsen.
Und noch ein Stück weiter oben fliesst plötzlich ein kleiner Bach (der wie so oft in dieser Region weiter talwärts komplett versickert) und noch ein Stück weiter oben entdecken wir (mit Hilfe von Hinweisen andrer Reisender) an der Quelle des Baches einen kleinen natürlichen Pool, gefüllt mit kristallklarem Wasser. Selbstverständlich gehen wir kurz baden. Was für eine Wohltat! Badekleidung ist dabei nicht nötig, der Pool ist so gut versteckt, dass sich wohl sowieso niemand hierher verirrt.
Die restliche Steigung erledigen wir danach rasch. Auf dem Berg ist auch die Temperatur etwas angenehmer. Wir entschliessen uns deshalb nicht bis zum nächsten Ort im Tal durchzufahren, sondern die Nacht noch in erhöhter Lage zu campen.
Nach 10 km Abfahrt finden wir einen geeigneten Platz. Es handelt sich um einen kleinen inoffiziellen Camping, der direkt an einem kleinen Fluss, welcher in eine Schlucht fliesst, gelegen ist. Die Lage ist echt toll, die Temperatur angenehm und ausser ein paar einheimischen Familien ist der Platz leer. Durch das frühe Losfahren am morgen sind wir nun bereits nach der Mittagszeit da und haben viel Zeit um im Bach zu baden.
Das Wasser ist übrigens ziemlich lauwarm, richtig erfrischend ist das Bad deshalb nur, wenn man aus dem Wasser steigt und sich in den Wind stellt. Wir geniessen das Baden ausserordentlich. Saubere natürliche Gewässer sind, seit wir die Carretera Austral verlassen haben, äusserst selten geworden. Zwar gibt es nun auf den Campings, Hostels usw. manchmal einen Pool, doch meistens werden die nicht nach europäischen Hygienestandards unterhalten.
Unser nächster Stopp ist die sagenumwobene Hospendaje por Biciviajeros in Chilecito. Sie wurde uns von anderen Reisenden empfohlen. Online und auf Karten ist sie kaum auffindbar, vermutlich weil es auch keine echte Hospendaje ist. Der Besitzer, George, ist selbst begeisterter Fahrradtourer und hat um sein Haus einen kleinen Retreat für Fahrradreisende aufgebaut. Geschlafen wird im eigenen Zelt, ansonsten steht aber die ganze Infrastruktur, samt Pool, bereit. Eine Übernachtung kostet CHF 1.20, pro Person. Wir möchten da für ein paar Tage bleiben, um uns zu erholen, Kleider zu waschen, etc.
Als wir am nächsten Tag nach 40km Fahrt (davon 20 km Abfahrt) ankommen, sind wir aber fast die einzigen Radfahrer. Neben George sind nur drei weitere Radfahrer da. Einer seit 3 Wochen, die anderen zwei seit mehr als einem halben Jahr. Sie sind auch auf Empfehlung anderer Reisender hierher gekommen und nicht wieder abgereist. Anstatt für die Übernachtung zu bezahlen, arbeiten sie im Garten, putzen Bad und Küche und empfangen Neuankömmlinge. Um ein wenig Geld zu verdienen gehen sie in die Stadt jonglieren, singen und nehmen Gelegeheitsjobs an.
Ausserdem sind noch etwa 12 Backpacker hier. Alle auch schon etwas länger.
Franziska und ich sind fast die einzigen ohne Rastafari. Und die einzigen Gringos. Wir werden aber herzlich aufgenommen und sind sofort Teil der Community. Das Ganze wirkt wie ein Hippie Hangout. Als wir ankommen, lässt sich eine Besucherin gerade mit Nadeln ein Tattoo stechen, kurz danach scheren sich einige gegenseitig seitlich die Haare, es wird Gitarre gespielt, gesungen, getanzt und ordentlich gesoffen. Viele der Gäste kennen sich auch erst seit kurzem und so passiert es, dass hin und wieder ein neu geformtes Paar für kurze Zeit auf ein Schäferstündchen in eines der Zelte verschwindet.
Wie gesagt, der Alkohol fliesst, zu unserem Erstaunen werden sonst aber absolut keine Drogen konsumiert. Nicht einmal gekifft – doch keine echten Hippies;-)? Vielleicht ist dies aber auch auf Anordnung von George. Wir fragen nicht weiter nach.
Am späteren Nachmittag steigt eine ordentliche Poolparty, mit Musik, Fernet&Cola, viel Wein, Bier und ausgelassener Stimmung. Die Szene könnte einem 68 Film entspringen. Wir geniessen die Abwechslung und stellen uns auf ein paar intensive Tage ein.
Zum Abendessen machen wir alle gemeinsam Pizza. Oder so lautet auf jeden Fall der Plan. Organisation ist aber nicht unbedingt die Stärke dieser Gruppe. Lieber noch eins trinken, Party machen und dazu Marmelade auf dem offenen Feuer kochen. Bekanntlich wird in Argentinien ja um 22:00 gegessen, so wird es aber 01:00 bis die erste Pizza (im viel zu kleinen Fass-Backofen) fertig ist und 4:00 bis alle gegessen haben. Urs geht „ohni Znacht ins Bett“ und die Party geht noch bis 06:00 weiter.
Der nächste Tag wird ruhiger. Tatsächlich sehen wir viele der Hippies bis zum Abendessen kaum. Sie verschlafen den Tag in der Hängematte oder einfach irgendwo im Schatten. Wir waschen Wäsche, putzen Material und Fahrräder, planen die nächsten Etappen, gehen in die Stadt und relaxen auch ein wenig. Ausserdem kochen wir heute Abend selber und zu unserer gewöhnlichen Esszeit.
Während des Tages treffen zwei weitere Fahrradfahrer ein, ein Argentinier und ein Venezolaner. Besonders Martin aus Salta ist sehr sympathisch. Und eine Rarität in Argentinien: er ernährt sich seit 5 Vegan, und seit 8 Jahren vegetarisch. Während der Reise ernährt er sich aber wieder vegetarisch, da es in vielen Dörfern einfach nicht das notwendige Angebot gibt. Wir unterhalten uns lange und erhalten viele Tipps für die kommenden Wochen. Jetzt gehts nach „Salta, la linda!“. Eine der spektakulärsten Regionen Argentiniens.