Purmamarca – La Quiaca 226km
Am letzten Abend in Purmamarca lernen wir Ayrton, einen jungen Polizisten aus Tucuman besser kennen. Wir sprechen mit ihm über seinen Job und seine häufigsten Einsätze. Traurigerweise bestätigt er, was wir nun schon öfters gehört haben. Am meisten rückt er wegen Häuslicher Gewalt aus. Dies immer zu Dritt, um sich selbst besser schützen zu können. Häusliche Gewalt und Gewalt gegen Frauen ist in Argentinien ein gesellschaftliches Problem. Weshalb das so ist, kann niemand genau sagen. Allerdings scheinen die Strafen für Täter eher milde zu sein. Im Fernsehen wird es ständig thematisiert. Auch Fälle mit ranghohen Politikern sind bekannt.
Während unserer Reise wurden wir nur einmal in Mendoza indirekt mit diesem Thema konfrontiert. Eine Besucherin des Hostels verbrachte ein paar Nächte im selben Hostel wie wir, weil sich das befreundete Paar, bei denen sie zu Besuch war, heftig und gewalttätig stritt. Wir wissen nicht ob die Polizei involviert war. Was uns aber schon damals irritiert hatte, war mit welcher Selbstverständlichkeit und Akzeptanz sie uns davon erzählt hat.
Aber zurück zu unserer Reise. Die nächsten Tage stehen im Zeichen der Hinauffahrt aufs Altiplano, spektakulärer Berge und der Akklimatisierung an die Höhe.
Am ersten Tag stehen nur rund 30km auf dem Plan. Unser eigentliches Ziel, Humahuaca, ist für eine Tagesfahrt zu weit weg. Deshalb halten wir bereits in Tilcara. Das Dorf ist überraschend schön und touristisch. Offenbar ist es ein Ausgangspunkt für Wanderungen im nahegelegenen Nationalpark. Allgegenwärtig ist auch hier, wie schon in Purmamarca, die immer noch existierende indigene Kultur. Die Einheimischen tragen traditionelle Kleidung und die traditionelle Kultur wird gelebt und zelebriert. So verbringen wir zum Beispiel einen Sonntagnachmittag an einem Wettbewerb, für den besten lokalen Ziegenkäse.
Wir sind wie üblich fast die einzigen Outsiders und geniessen das Schauspiel inkl. Tasting und indigenen Gesängen. An den Märkten wird allerlei aus Lamawolle angeboten und in vielen Restaurants und auf dem Markt gibt es Spezialitäten aus Lamafleisch. Was wir natürlich sofort probieren – schmeckt wie eine Mischung zwischen Rinds- und Schweinefleisch.
Auf dem Campingplatz treffen wir 3 weitere Fahrradfahrer. Alle aus Argentinien. Die Route bis an die argentinische Grenze scheint bei den Einheimischen populär zu sein. Wir haben in wenigen Tagen nun schon fünf Fahrradfahrer getroffen, die diese Route gewählt haben. Einer davon möchte noch bis La Paz weiterfahren. Wir zweifeln allerdings, ob er jemals da ankommen wird. Er ist nun schon 3 Monate unterwegs und hat erst 969km seit Cordoba zurückgelegt. Das gibt einen Tagesschnitt von ca 11.5 Kilometer. Dafür ist er bereits „best friends“ mit dem Campingbesitzer. Für uns ist es immer wieder interessant zu sehen, wie andere reisen. Wir selbst gehören Tempomässig wohl eher zu den schnelleren, legen dafür mehr Pausen ein.
Am nächsten Morgen fahren wir früh los. Uns erwartet ein langer Aufstieg nach Humahuaca. Zudem ist uns der Kaffee ausgegangen weshalb wir schon nach 500m Fahrt bei der YPF-Tankstelle einen Kaffeestop einlegen. Mittlerweile wissen wir, wo wir zuverlässig guten Kaffee herkriegen.Die Fahrt ist wenig aufregend. Durch die Ausleger des Altiplanos fahren wir sehr stetig und langsam Humahuaca entgegen.
(Das ist übrigens ein Friedhof)
Um 15:00 treffen wir ein. Das Dorf gefällt uns beiden sehr gut. Es hat einen ähnlichen Charakter wie Purmamarca, ist aber deutlich grösser und wirkt sauberer. Auch hier besteht die Bevölkerung fast vollständig aus Indios. Europäische Gesichtszüge, wie im Rest des Landes typisch, sind hier keine mehr zu sehen. Die Gesichter sind runder, die Haut oft dunkelbraun und eine Backe der Männer oft, wegen des Kokablätterkauens, ausgebeult. Die Nähe zu Bolivien ist unverkennbar.
Kurz nach dem Eintreffen gehen wir zum Hostel Humahuacasa. William, mit dem wir in Salta wandern waren, arbeitet seit ein paar Tagen hier. Deshalb checken wir selbstverständlich hier ein (ausserdem ist für die Nacht ein Wetterumschwung vorhergesagt. Die letzten zwei Umschwünge haben wir im Zelt miterlebt. Beide Nächte waren nicht sehr toll/erholsam..). Wie üblich in Hostels lernen wir ganz viele Leute kennen: „ah, ihr seid die zwei locos mit den Fahrrädern?!?“. Und schon stehen wir Rede und Antwort. Wir freuen uns immer neue Leute kennenzulernen, doch kann es auch mal anstrengend sein, nach einem harten Tag auf dem Fahrrad, dem halben Hostel seine Geschichte zu erzählen. Lieber hören wir selbst spannende Geschichten abseits des Massentourismus. Zum Glück ist es oft nicht schwierig zu erkennen, welches die interessanteren Reisenden sind.
Der grosse Sturm bleibt die Nacht und den ganzen nächsten Tag aus. Wir werden nur einmal kurz nass und fahren mit gutem Rückenwind durch wunderschöne und farbige Täler über einen 3700m hohen Pass bis nach Abra Pampa. Dafür holen wir, trotz dicker Wolkendecke einen ordentlichen Sonnenbrand. Irgendwann werden wir es vielleicht noch lernen, dass die Sonne hier so intensiv ist, das man sich auch bei schlechtem Wetter eincremen muss.
Über Abra Pampa gibt es nichts zu sagen. Nur Fahrradfahrer halten hier, gezwungenermassen. Wir schlafen in einem mittelmässigen Hotel und begeben uns am nächsten Morgen früh auf die letzte Etappe zur bolivianischen Grenze. Wir sind nun definitiv auf dem Altiplano angelangt. Die Strecke ist komplett flach. Verkehr gibt es hier fast keinen mehr. Bäume auch nicht. Vorbei an tausenden von Lamas und Alpacas fahren wir bei bestem Wetter La Quiaca entgegen. Fränzi geniesst die Landschaft und Stimmung ausgiebig.
Dank des Rückenwinds erreichen wir La Quiaca kurz nach dem Mittag.
La Quiaca ist ein typischer Grenzort. Die Stadt hat etwas mehr als 10‘000 Einwohner, touristisch nichts zu bieten und das Schmuggelgeschäft floriert. Dementsprechend viel Polizei ist unterwegs. Wir bleiben hier ein paar Nächte. Ausschliesslich um auf den Gepäckträger zu warten, sonst wären wir gleich weiter nach Bolivien gefahren. Doch auch so kommen wir bereits mit bolivianischer Kultur in Kontakt. Überall gibt es Marktstände die allerlei Ware anbieten, „Supermärkte“ werden dafür seltener. Auch die Preise sind schon gefallen. Ein typisches Nachtessen kostet noch um die 3.- bis 5.-CHF, sehr günstig für Argentinien.
Nebst dem Warten auf das Eintreffen von Urs‘ Gepäckträger, versuchen wir uns an die Höhe Boliviens zu gewöhnen. Unser Hostel befindet sich auf 3500 Meter über Meer. Da kann einen auch mal Treppensteigen ausser Atem bringen. In 1-2 Wochen sollten wir uns aber ausreichend akklimatisiert haben. Das ist auch nötig, denn unser Weg wird uns in Bolivien voraussichtlich über 4900 Meter hohe Pässe führen.
La Quiaca ist also unser letzter Stop in Argentinien. Argentinien mit seiner Landschaft und Bewohnern hat uns sehr gut gefallen. Dennoch freuen wir uns nun auf die neue und sehr unterschiedliche Kultur und die einmalige Landschaft Boliviens. Wir können es kaum erwarten, endlich die Grenze zu passieren.