Mocoa Casa de Ciclista – Popayan 260km
Wir haben Glück als wir aufbrechen. Das erste Mal seit wir hier sind, regnet es nicht am Morgen. Nur noch kurz ein Videodreh für Ferney und sein Casa de Ciclista, und dann treten wir wieder motiviert in die Pedale. Heute gibt es verkehrsarme Strassen, hügelige und sattgrüne Landschaft und vor allem eine extrem hohe Luftfeuchtigkeit.
Schon nach kurzer Zeit kleben uns die Kleider triefend nass am Körper als hätte es geregnet. Oder zumindest Franziska geht es so. Urs ist da eher Roger Federer- mässig unterwegs.Nach etlichem Auf und Ab (vor allem Auf) erreichen wir dann wieder ein kleines, unscheinbares Dörfchen. Für die wenigen Häuser die es hier gibt, ist die Anzahl an Hospedajes und Hotels doch sehr erstaunlich. Ausserdem wird sich hierher kaum ein Tourist verirren, es sei denn, es ist ein Fahrradreisender.
Nachdem wir ein paar der Übernachtungsmöglichkeiten abgeklappert haben, entscheiden wir uns für ein relativ neues und einigermassen sauberes Hotelzimmer.Wir freuen uns auf die Dusche (wenn auch A* kalt) und darüber, wieder etwas trockenes anziehen zu können. Nur gehen uns so langsam auch unsere sauberen Kleider aus. Im Casa de Ciclista konnten wir unmöglich waschen, die Kleider hätten wegen der hohen Luftfeuchtigkeit niemals getrocknet. Ausserdem beginnt nun alles fürchterlich zu stinken. Wir hoffen einfach es ist nicht ganz so schlimm und probieren es zu vermeiden, einen geschlossenen Raum mit anderen Personen betreten zu müssen. Ihr könnt euch ja vorstellen, wie es in unserem Hotelzimmer gerochen hat… Ein Grund mehr wenn möglich immer ein Zimmer mit Fenster nach aussen zu wählen! Jedenfalls buchen wir nach dem Nachtessen, welches wir vor dem Hoteleingang auf unserem Benzinkocher zubereitet hatten, ein Airbnb in Pitalito, unserem nächsten Halt. Eine Unterkunft inkl. Waschmaschine. Wir können es kaum erwarten.
Als wir uns dann am Morgen in die immer noch gleich feuchten Velokleider zwängen, prasselt der Regen in gleichmässigen Rhythmus vom wolkenverhangenen Himmel herab. Naja, egal, nass sind wir ja sowieso schon. Also gehts weiter durch die grüne Hügellandschaft umgeben von dichtem Dschungel. Da kann man sich schon vorstellen, dass sich irgendwo im Dickicht vielleicht das eine oder andere Kokainlabor versteckt. Wer weiss?! Obwohl wir heute weniger Höhenmeter zu fahren haben als Gestern, scheint der Anstieg doch nie enden zu wollen. Teilweise giesst es wie aus Kübeln und das Unwohlsein, welches Fränzi schon seit wir vom Casa de Ciclista los sind verspürt, machen das vorankommen nicht einfacher. Und erst als wir den höchsten Punkt erreicht, und wieder hinunter ins Tal sausen, hört der Regen allmählich auf und es wird wieder wärmer, die Luft trockener und viel angenehmer zum fahren. Und als wir schon wieder einigermassen trocken sind, werden wir vor unserer Ankunft in Pitalito nochmals verregnet. Bei der Ankunft bei unserem Airbnb Host Camillo, sind aber alle Strapazen schnell wieder vergessen. Er ist in unserem Alter, total nett und bewohnt mit seiner Freundin ein neues und sehr modernes Haus. Es ist sauber, es gibt eine gut ausgestattete Küche (was für unsereins eine sehr hohe Priorität hat) und sogar ein Jakuzzi! Wir entledigen uns unseren nassen Sachen, genehmigen eine warme Dusche und fühlen uns sogleich wieder wie neu geboren. Dann erstmal Wäsche waschen und Einkaufen.
So verbringen wir schlussendlich etwa doppelt so viele Nächte hier als gedacht. Schliesslich wollen wir endlich auch mal den kolumbianischen Ausgang erleben! Und ausserdem hat sich Fränzi im Dschungel wohl wegen unsauberem Wasser eine üble Magenverstimmung eingefangen. Camillo und Diana zeigen uns auch noch das übertouristische San Agustín, wo man alte Steinskulpturen betrachten kann, gehen mit uns zum Italiener und führen uns in das Zentrum von Pitalito.Gerade als wir Abends im Stadtpark umher bummeln, kommen wir mit drei Argentinier ins Gespräch. Nach kurzer Zeit lädt Camillo sie ebenfalls zu sich nach Hause ein. Die Argentinier sind mit einem kleinen Bus und Zelt unterwegs und dürfen auf Camillos‘ Grundstück parken und campen. Es gesellt sich noch ein weiterer Argentinier mit einem Campervan hinzu und so kommt es zu einem sehr lustigen und ausgelassenen Abend mit viel Bier, Asado, Musik und ein bisschen Marihuana… Mit den Argentiniern hat man einfach immer eine „muy buena onda!“
Und übrigens, Urs hat sich beim Barber schon mal fit gemacht für den Sommer, nach dem Diana meinte, er erinnert sie an den Typ von „Into the wild“.
Gestärkt, sauber und trocken machen wir uns wieder auf den Weg. Noch einmal führt uns die Strasse über die kolumbianische Andenkette, noch einmal geht es über 3000 M. ü. M. und noch einmal fahren wir direkt in die Kälte. Aber die ersten 40 Kilometer sind noch sehr heiss. Die Sonne scheint kräftig vom Himmel während wir uns Kurve um Kurve den Berg hinauf arbeiten. Die Landschaft ist sehr schön. Wir fahren vorbei an Kaffeeplantagen und am Strassenrand gibt es viele frische und saftige Früchte zu kaufen. Oder auch mal Ziegenmilch – direkt ab Ziege.Es ist ein langer und anstrengender Tag heute und wir sind froh, als wir das Restaurant erreichen, wo man laut IOverlander auch campen darf. Wir haben Glück, die Frauen, die das Restaurant führen sind in total guter Stimmung und lassen uns ohne zu zögern das Zelt aufstellen. Gratis.
Als Dankeschön, und weil wir einfach auch sehr hungrig sind, lassen wir uns heute von ihnen mit feinem Fisch, Kartoffeln, Yuca, Reis und Randensalat bekochen.
Danach sind wir definitiv satt und fallen schon früh und todmüde auf unsere Matratzen.
Der Morgen ist frisch und grau. Es hat in der Nacht ordentlich abgekühlt und wir ziehen wieder mal gerne unsere Daunenjacken an fürs Frühstück. Trotzdem fahren wir beide in Fliflops und Sandalen los. Es warten weitere 1000 Höhenmeter auf uns. Nach den ersten vier Kilometer endet die asphaltierte Strasse und wechselt in eine kompakte, mehr oder weniger ebene Erdstrasse. Für uns also weiterhin kein Problem. Auf der Hochebene können wir viel Vogelgezwitscher hören, das eine oder andere gelb, blau oder rotfarbene Tier sehen wir auch vor uns über die Strasse fliegen um dann wieder in den tiefen Baumwipfeln zu verschwinden.Es gibt auch der eine oder andere streunende Hund der uns ein Stückweit begleitet, obwohl hier keine bewohnten Häuser mehr stehen.
Als wir weiter vordringen Richtung Westen, werden die Wolken immer dichter und schon bald beginnt es wieder heftig zu regnen. Die Strasse wird schlechter und es ist ein stetes Auf und Ab. Der Wind und der Regen lässt die Temperatur weiter fallen und schon bald schmerzen unsere Füsse und Hände so sehr, dass wir uns fragen, wie viel es wohl braucht, bis ein Körperteil Erfrierungen erleiden kann. Bei solchen Bedingungen ist Anhalten wohl die schlechteste aller Ideen. Aber weil das Knurren unserer Mägen nicht mehr zu überhören ist, tun wir es doch und schlingen in kurzer Zeit und stehend unser Mittagessen hinunter. Und dann „Chopf abe u secklä“. Obwohl es immer wieder auch rauf geht, reicht es nicht unsere Körper richtig aufzuwärmen. Wie ein Mantra sagen wir uns immer wieder: „ Es isch sletscht mal chalt. Bald wirds warm. Es isch sletscht mal chalt. Bald wirds warm…“.
Es hat auch einige Autos, Kleinbusse und sogar grosse Lastwagen unterwegs. Wegen den vielen grossen Schlaglöcher kommen diese aber nur im Schneckentempo voran und für einmal sind wir mit dem Fahrrad sogar schneller. Und als wir an einem steckengebliebenen Lastwagen vorbei fahren, der den gesamten Verkehr lahmgelegt hatte, geniessen wir unsere Flexibilität und sind auch ein kleines bisschen schadenfreudig. Heute müssen wir schliesslich den Vorteilen des Fahrradreisens spezielle Aufmerksamkeit zukommen lassen.
Um etwa 13 Uhr befinden wir uns dann wieder auf Asphalt. Noch einmal gehts hinauf und dann wartet endlich die lange Abfahrt bis nach Popayan auf uns. Umso mehr Höhe wir verlieren, desto wärmer und trockener wird es wieder. Die Klimaunterschiede heute sind gigantisch. Am Schluss fahren wir noch im Tshirt und die heisse Sonne lässt uns schwitzen als wir von einem vorbeifahrenden Töfffahrer mit einem freundlichen„Bienvenidos a Popayan“ begrüsst werden. Endlich sind wir in der Wärme angekommen! Warme Temperaturen und warme Menschen. So hatte man uns zumindest versprochen. Wir sind voller freudiger Erwartungen. In Popayan angekommen, fahren wir direkt zum Zuhause von Fayver, dem jungen Kolumbianer den wir unterwegs von Pasto nach Sibundoy kennengelernt, und der uns eine Übernachtungsmöglichkeit bei seiner Mutter angeboten hatte. Als wir das richtige Haus gefunden und geläutet haben, kommt eine etwas ältere und zwei junge Frauen auf den Balkon heraus und schauen uns argwöhnisch und fragend an. Schnell klärt sich auf, dass Fayver uns zwar eingeladen, seiner Mutter und seinen Schwestern davon aber nichts gesagt hatte. Nach einem kurzen kennenlernen wollen sie uns trotzdem eine Übernachtungsmöglichkeit anbieten. Wir lehnen aber ab. Wir fühlen uns nicht so wohl, wenn wir uns jetzt so unerwartet aufdrängen. Dafür besteht die Mutter von Fayver aber darauf, uns am kommenden Tag zum Mittagessen einzuladen. Dieses Angebot nehmen wir gerne an. Dann verabschieden wir uns wieder und machen uns auf zu einem Hostel im Zentrum von Popayan. Nicht das erste Mal in Kolumbien haben wir nun schon erfahren, dass das was gesagt wird, zwar nett gemeint ist, man aber nicht immer für bare Münze nehmen kann. Mal schauen ob die Einladung fürs Mittagessen tatsächlich stattfinden wird.
Im Hostel angekommen machen wir uns frisch und gehen dann zum Nachtessen nochmals raus. Wir hatten von einer sehr guten Pizzeria gehört, welche von Schweizern geführt wird. Also geben wir auch den Pizzen in Kolumbien noch eine Chance. Und tatsächlich, sie kommt der echten, italienischen schon sehr nahe. Auch wenn die Pizzaauswahl mit viel Poulet, fast immer mit Schinken und extra viel Käse nicht gerade unserem Gusto entspricht, essen wir das erste Mal seit wir in Südamerika unterwegs sind, nach nur knapp einem Jahr, auswärts eine Pizza mit Genuss und sind danach zufrieden und glücklich.
Popayán – Cali 150km
Wir schlafen aus und gönnen uns das gutbewertete, herzhafte Frühstück des Hostels. Bestehend aus zwei Scheiben nichtgetoastetem Toastbrot und ungesalzenem Rührei, dazu schwacher kolumbianischer Tinto. Wir sind aber nicht enttäuscht oder überrascht. In Südamerika sieht ein herzhaftes Frühstück oft so aus. Wir haben darum stets auch eigene Sachen bereit um es fast auf Schweizer Standart aufzupeppen. Dazu gehört fast immer Müesli und Milch für den Kaffee.
Vor dem Mittagessen bei der Familie von Fayver möchten wir noch zwei Dinge erledigen:
1. Die hinteren Bremsbeläg bei beiden Fahrrädern wechseln. Die Beläge sind nach wenigen Wochen schon durchgefahren. Normalerweise halten sie mehrere Monate. Das liegt vor allem am schlechten Wetter und der langen, holprigen Abfahrt. Das Dreckwassergemisch, entstanden durch den Regen auf der Erdstrasse, wirkt wie Schleifpapier auf unseren Bremsscheiben.
2. die lokalen Empenadas probieren. Hier sind sie viel kleiner und gefüllt mit einer Erdnuss-Kartoffelmischung. Sehr lecker!
Wie verabredet treffen wir um 13h00 zum Mittagessen ein. Das Mittagessen ist noch nicht ganz fertig. Wir bieten an zu helfen. Doch nix da. Wir werden aufs Sofa gesetzt und um uns die Wartezeit angenehmer zu gestalten, wird der Fernseher eingeschaltet. Noch bevor wir richtig mit unseren Gastgebern gesprochen haben. Das ganze läuft freundlich ab und das Vorgehen scheint auch üblich zu sein. Dennoch fühlen wir uns etwas komisch, einfach in einem fremden Haus fernzusehen. Nach etwa 15 Minuten Fernsehen ist dann das Essen bereit. Wir werden an einen kleinen Zweiertisch geführt, auf dem schon unser Mittagessen bereitsteht. Etwas verwundert schauen wir Sie an, ob wir denn nicht zusammen essen würden? Aber sie besitzen nur diesen kleinen Tisch. Also setzen wir uns an den Tisch und sie essen drei Meter entfernt auf dem Sofa. Wir fühlen uns wie in einem Restaurant. Inkl. Tischzuteilung und Privatsphäre. Langsam entwickelt sich dann doch noch ein Gespräch und die Atmosphäre entspannt sich. Wir plaudern über Popayán, das Reisen, wie wir gesund bleiben während des Reisens und vieles mehr. Ab und zu kommt es vor, dass wir etwas, was sie sagt, nicht verstehen (Fayvers Mutter spricht sehr schnell und hat einen starken lokalem Akzent). Wir sagen ihr jeweils, dass wir das nicht verstanden hätten. Doch anstatt das Gesagte neu zu formulieren, wiederholt sie es in doppelter Lautstärke. Dann in Dreifacher. Und dann schreit sie es fast. Immer noch in freundlichem Tonfall – wahrscheinlich denkt sie dass wir Schweizer halb taub sind? Oder vielleicht liegts auch an der Distanz zum Sofa =)?
Die Wohnung ist ansonsten gut eingerichtet und im Wohnzimmer steht sogar ein noch verpackter, brandneuer, richtig grosser Flachbildfernseher. Wir hätten wohl eher in einen Tisch der selben Fläche investiert, um mit der Familie essen zu können. Naja, das mit den Prioritäten hatten wir ja schon (Das kennen wir übrigens auch aus anderen Ländern. Zum Beispiel in Bolivien/Peru gab es manchmal wirklich arme Gegenden mit Häusern aus Lehmziegel, ohne fliessend Wasser oder Sanitäranlagen. Das einzige was aber nie fehlen durfte, war die Satellitenschüssel auf dem Dach?).
Schon um 14h30 gehen wir wieder in die Stadt. Popayán ist sehr schön, und es lohnt sich die Stimmung aufzusaugen und die Atmosphäre zu geniessen. Zum ersten Mal in Kolumbien gönnen wir uns einen Kaffee bei Juan Valdez (Starbucks auf Kolumbianisch. Apropos Juan Valdez: Liebe Grüsse nach Deutschland an Elke und Harald).
Danach steht nur noch Einkaufen und die Vorbereitung für den kommenden Tag auf dem Programm. Wir nehmen uns vor nur für das Abendessen zu Kochen und am nächsten Tag unterwegs in einem der vielen preiswerten Restaurants zu Mittag zu essen. Denn selbst zu kochen ist fast immer teurer als in einem preiswerten Lokal der Einheimischen. Wir machen zum ersten Mal auf unserer Reise Rösti. Dafür kaufen wir (unüberlegt) 2kg Kartoffeln und 10 Eier ein. Dazu macht Urs 500g Arepas. Anders gesagt: wir kochen entgegen unseren Vorsätzen und irgendwie aus Versehen für den ganzen nächsten Tag. Wir müssen echt mit mehr Bedacht einkaufen. Aber seis drum, die Rösti war lecker!
Zum Frühstück gibts Rösti und Ei. Das nenne ich nun ein herzhaftes Frühstück! Und um 8 Uhr fahren wir auch schon los. Bis nach Cali werden wir zwei Tage lang einer stark befahrenen Hauptstrasse folgen. Was eine sehr gute Entscheidung ist, wie wir später erfahren werden. Denn FARC-ähnliche und andere Guerillias sind, trotz Friedensvertrag, in dieser Region (Cauca) immer noch sehr aktiv. Noch im letzten März gab es Anschläge mit Sprengsätzen und Angriffe auf Polizeistationen, Infrastruktur und sogar eine Militärbasis. Ziele waren stets Einrichtungen der Regierung und nicht Touristen, dennoch lohnt es sich hier auf der sicheren Hauptstrasse zu bleiben. Unterwegs ist es leicht erkennbar, dass es hier einen Konflikt gibt. Alle Brücken werden vom Militär bewacht. Vor und nachher gibt es jeweils ein Gebäude, gesichert mit Sandsäcken. Dazu passieren wir etliche Checkpoints. Zwei Gringos auf Fahrrädern sind aber keine Bedrohung. Viele Soldaten winken uns freundlich zu oder salutieren zum Spass sogar.
Kurz nach Popayán legen wir bei einem Zelt des Roten Kreuzes den ersten Stopp ein. Das Rote Kreuz empfängt hier Flüchtlinge aus Venezuela und versucht ihnen bestmöglich zu helfen. Es bietet Unterkunft, Verpflegung und Duschen an, leistet erste Hilfe und verteilt einfache Rucksäcke und Schlafsäcke. Wir halten an um hier warme Kleider und unsere Wanderschuhe zu spenden. Beides werden wir bis zum Ende unserer Reise wohl nicht mehr benötigen. Und beides wird hier dringend gebraucht. Denn ab hier wirds kalt (ja, auch in Kolumbien gibt es sehr kalte Regionen!). Vorallem die Wanderschuhe werden zwei Personen einen riesen Dienst leisten. Wir geben die Sachen einem Mitarbeiter ab.
Zur gleichen Zeit wie wir trifft ein junger Venezolaner ein und beobachtet das Geschehen. Seine Kleider lösen sich langsam auf und auch er ist sicherlich froh sich in Sicherheit etwas ausruhen zu können. Er ist in Crocs bis hier her gelaufen. In der Sohle hats ein fünflibergrosses Loch. Zum Zeichen, dass er unbedingt neue Schuhe benötigt, streckt er seinen Zeigefinger hindurch und fragt, ob wir noch etwas für ihn hätten. Wir sagen ihm, er solle sich bitte an den Mitarbeiter wenden. Gerne würden wir mehr helfen, und wir freuen uns, mit unseren warmen Kleidern jemandem helfen zu können, doch gleichzeitig breitet sich in uns auch ein Gefühl der Ohnmacht aus. Immer wenn wir uns auf dieser Hauptachse zwischen Medellín und Ecuador befinden, begegnen wir einem nicht enden wollenden Strom von Flüchtlingen. Wir könnten all unser Hab und Gut abgeben, ohne gefühlt irgendwas zu verändern.
Wir fahren weiter. Still. Und denken beide über das Gesehene nach. Es ist traurig, was in Venezuela geschieht. Für Venezuela. Und auch ein wenig für uns. Gerne würden wir das Land kennenlernen. Denn alle Venezolaner, die wir bisher kennenlernen durften, waren „muy buena onda“! Vielleicht muss Maduro ja irgendwann gehen und die Situation wendet sich zum Besseren. Wir wären auf jeden Fall bereit dafür.
Wir fahren hinab auf 900m auf die Ebene, wo sich Cali befindet. Ab jetzt wirds heiss! Darauf haben wir uns schon lange gefreut und wir nehmen uns vor, die Hitze möglichst lange ohne zu meckern zu geniessen! Wir können bei einem Restaurant mit Pool übernachten und genehmigen uns das lang ersehnte Heisswetter-Bier.
Um 8 Uhr Morgens gehts wieder los. Am Wegrand gibts weiter regelmässig Fruchtstände. Natürlich haben wir diese bereits in unsere Znüniroutine integriert.
Es sind 61 flache Kilometer bis nach Cali. Wir möchten bereits um die Mittagszeit in der Stadt eintreffen. Langsam wissen wir, wie man grosse Städte mit dem Fahrrad am einfachsten betritt. Sicherheit geht vor. Das bedeutet immer schön in Bewegung zu bleiben, einer viel befahrenen Strasse zu folgen, unbedingt früh einzutreffen und die Unterkunft im Voraus zu buchen. Gekonnt setzten wir das um und sind bereits um 13h00 bei unserem Airbnb. Unser Host, Juan Sebastián, arbeitet von zu Hause aus und nimmt uns sogleich in Empfang. Er wohnt alleine in einem grossen Haus, welches zu unserer Freude über eine moderne Küche mit guter Ausstattung verfügt.
Beim Willkommensbier erfahren wir gleich viel wissenswertes über Cali. Kurz Zusammengefasst:
1. Cali ist berühmt für Salsa, Nightlife und das Cali-Kartell.
2. Trotz seiner Berühmtheit ist Cali keinesfalls ein touristischer Ort. Tatsächlich wirken wir hier wie Ausserirdische und werden oft angestarrt. Ein touristisches Zentrum mit vielen Hotels oder Attraktionen gibts nicht. Es dauert zwei Tage bis wir die ersten anderen Touristen treffen. Dahingegen soll es in Medellín, Bogotá und Cartagena von Touristen nur so wimmeln.
3. Cali ist gefährlich. Wir werden angewiesen keinesfalls in der Nacht herumzulaufen (und besser per Uber nach Hause kommen, nicht per Taxi). Einige Viertel sind strikte zu meiden. Auch am Tag und auch für Einheimische. Eines davon liegt mitten in der Stadt. Den Osten sollen wir sowieso meiden. Es gibt Überfälle am hellichten Tag. Rucksäcke sind in öffentlichen Verkehrsmitteln stets vorne zu tragen. Und das Smartphone bleibt am besten in der Tasche. Oder zu Hause.
Alles in allem könne man sich aber frei bewegen, wenn man die in Grossstädten übliche Vorsicht walten lässt;-). Dazu zwei Anektoten:
1. Wir gehen zum ersten Mal die sicheren Viertel Stadt erkunden. Fränzi sieht ein Graffiti, möchte es fotografieren, schaut sich um und zückt das Smartphone. Wir haben uns angewöhnt Wertsachen nur zu zeigen, wenn niemand in der unmittelbaren Umgebung ist. Sogleich, nach nicht mal zwei Sekunden, ruft uns eine Frau aus drei Meter Entfernung zu, wir sollen sofort das Smartphone wegstecken! Cuidado con el móvil!!
2. Nachdem wir Abends Salsa tanzen waren, entscheiden wir uns den einen Kilometer bis zum Airbnb zu laufen. Der ganze Weg ist gut beleuchtet und es hat viel Verkehr.
Am nächsten Tag erzählen wir Sebastián von unserem Abend und dem Nachhauseweg. Er schluckt bloss leer und verzichtet auf einen Kommentar. Seinem Schweigen und Gesichtsfarbe entnehmen wir aber, dass wir auch für kurze Strecken von nun an Nachts ein Uber nehmen werden.
Wir erfahren aber vorallem viel Gutes in Cali. Die Leute sind sehr freundlich und freuen sich „Gringos“ zu sehen. Bei der Hereinfahrt kriegen wir ein Sandwich geschenkt, Leute halten an und fragen uns nach unseren Instagram Accounts um unsere Reise verfolgen zu können. Von Anfang an geniessen wir unsere Zeit hier. Mit gebührender Vorsicht natürlich.
Am ersten Abend lassen wir es noch ruhig angehen.
Am Freitag erkunden wir erst die Stadt und tun dann, was man in Cali auf keinen Fall verpassen darf: Salsa tanzen!
Etwas zu früh treffen wir in dem hier typischen Salsalokal ein. Die Tanzfläche ist noch leer, aussenrum sitzen vereinzelnt Leute. Man trinkt hier Bier, Rum oder Aguardiente (Änis-Schnapps). Es ist üblich eine ganze Flasche zu kaufen und diese mit Freunden zu teilen. Nur ausnahmsweise werden einzelne Drinks bestellt. Etwa um 22h00 füllt sich das Lokal langsam und es wird sogleich mit dem Tanzen begonnen. Immer nur ein Lied. Danach setzen sich alle für wenige Sekunden hin und die Tanzfläche ist leer. In dieser kurzen Pause fordern die Männer die selbe oder eine andere Frau zum Tanzen auf. Auch wenn man weiter mit der selben Partnerin tanzen möchte, setzt man sich kurz hin. Und es geht wieder los. Die Pause dauert oft nur 10 Sekunden, die Musik stoppt nie. Alle Tanzen mit allen. Die Initiative liegt bei den Männern. Einige Frauen sind ohne männliche Begleitung hier. Sie kriegen natürlich keine Pause und haben am Ende des Abends wohl mit jedem Mann in diesem Lokal getanzt.
Das Salsatanzen liegt den Leuten hier im Blut und es ist schön ihnen dabei zuzuschauen. Gegen Mitternacht trifft eine Gruppe Tänzer einer renomierten Tanzschule aus Cali ein. Die Musik wird unterbrochen und das Eintreffen angekündigt. Einige Tanzschulen geniessen hier einen hohen Status. Sie mischen sich unter die Tanzenden. Es ist unglaublich ihnen zuzuschauen. Jede Bewegung sieht so leicht und natürlich aus, als wäre es das einfachste der Welt.
Wir sehen dagegen beim Tanzen aus wie zwei Kartoffelsäcke. Wir tanzen viel. Fränzi wird natürlich ständig zum Tanz gefordert. Und auch um Urs kümmern sich zwischendurch zwei Kolumbianerinnen, um ihm mit seinem Rythmusgefühl zu helfen.
Es herrscht eine freundliche und sehr angenehme Atmosphäre. Leicht kommt man mit den Leuten ins Gespräch, es werden Shots geteilt und viel gelacht. Wir freuen uns jetzt schon auf den nächsten Tanzabend.
Jeden Sonntag findet in Cali CicloVida statt. Etliche Strassen werden ganz für den Langsamverkehr abgesperrt. Das lassen wir uns nicht entgehen. Unzählige Fahrradfahrer, Skater und Jogger sind unterwegs. Am Strassenrand stehen Essstände und auf Wiesen finden Zumbaklassen statt. Cali zeigt sich von seiner besten Seite. Sonnenschein, autofreie Strassen, Streetfood und beste Laune. Auch das kann Cali.Ansonsten steht für uns eher Organisatorisches, Reinigungsarbeiten und Einkaufen auf dem Programm. Bevor am Dienstag hoher Besuch aus der Schweiz eintrifft! Silvan kommt direkt vom Eidgenössischen nach Kolumbien, um einige Wochen mit uns zu radeln. Wir freuen uns!
Freue mich von eurer Reise zu lesen😍 Grüsse aus der Schweiz!
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